Buhhh - ich kann einfach nicht nachvollziehen, was in manchen Köpfen abläuft und in welche Richtung wir uns im Umgang mit dem Internet und den so genannten "sozialen Netzwerken" bewegen. Ich finde sie immer mehr alles andere als sozial. Sie killen jegliche Umgangsformen, welche uns irgendwann mal beigebracht wurden.
Wer sich auf der Plattform mit dem weissen F auf blauem Hintergrund aufhält, ist bestimmt in verschiedenen Gruppen. Man könnte sie auch Interessengemeinschaften nennen. Möglichkeiten, sich auszutauschen und zu diskutieren. Wer genau mitliest merkt aber, dass das die "Gruppenmitglieder" überhaupt nicht wollen.
Es werden Fragen gestellt oder Meinungen veröffentlicht und eine andere Sichtweise wird nicht toleriert. Im Gegenteil: Die Verfasser sogenannter Posts wollen nur, dass man ihnen nach dem Mund redet, ihrem Standpunkt zustimmt. Wer nicht auf der gleichen Welle schwimmt und sich trotzdem zu Wort meldet, der wird angegriffen oder - wie praktisch - eben mal kurz "blockiert". Hallo? Wie tief sind wir gesunken. Transferiert man eine solche Situation ins Leben ausserhalb des weltweiten Netzes, sähe das so aus:
Zwei Menschen unterhalten sich auf der Strasse. Eine erzählt etwas, die andere stimmt enthusiastisch zu. Es kommt eine dritte Person dazu und äussert ihre persönliche Meinung zum gegebenen Thema. Ein Mensch aus der Pro-Fraktion brüllt den Kontra-Mitmenschen an. Der andere Pro sagt kein Wort, sondern läuft einfach weg und spricht fortan niewieder auch nur eine einzelne Silbe mit Kontra.
Ist das der Umgang, den wir uns miteinander wünschen? Kann so ein Verhalten, welches auf F und Co. eintausendmal pro Sekunde passiert, geduldet werden? Ich finde nicht. Es macht mich wütend. Nachdenklich. Wie niedrig die Hemmschwelle in der Verweundung des geschriebenen Wortes im Netz doch ist ...
Verlernen wir jetzt noch ganz, wie man respektvoll miteinander diskutiert? Dass es immer zwei Seiten der Medallie gibt? Es in Ordnung ist, nicht einer Meinung zu sein und trotzdem nebeneinander die gleiche Luft zu atmen?
Soviel zum Anstand. Dann wäre da noch der Punkt der verantwortungsvollen Nutzung des Internets. Oder die Naivität dessen Benutzer.
Als Beispiel eine dieser F-Gruppen welcher 11'112 Menschen angehören. Schreibe ich hier also etwas, können es 11'111 Erdenbürger lesen. Als immer mehr kritische Beobachterin solcher Netzwerke fällt mir auf, wie schnell dieser Fakt vergessen geht. Veröffentlicht werden total persönliche Dinge, als würde man sie im Kaffee mit der besten Freundin/Kumpel erzählen. Kaum einer denkt daran, was Mitleser mit diesen Informationen machen könnten. Oder sie vielleicht die Intimsphäre anderer (vor allem von Kindern, manchmal auch Nachbarn, Lehrern, Kindergärtnerinnen und vielen anderen) verletzen. Wie kann man nur etwas öffentlich machen und davon ausgehen, dass unter all diesen anderen Menschen keiner ist, der sich mit einer anderen Meinung dazu meldet?
In meine persönliche Top 10 der ... nein, ich schreibe es nicht. Ich umschreibe es: Wenn zum Beispiel jemand über zehntausend Menschen fragt, wo denn am Sonntag Fastnachtsumzug ist ohne zu erwähnen, wo er oder sie selber wohnt - und da gibt es noch viiiieeele andere Beispiele - dann weiss ich nicht genau, was für eine Erwartung der Fragensteller genau hat. Was genau macht er mit den 94 Antworten, die er darauf aus dem ganzen Land erhält?
Googelt überhaupt noch jemand? Ich habe oft den Eindruck, das weisse F sei ebenso eine Suchmaschine. Man bekommt x-viele Antworten auf eine Frage. Praktisch daran ist, dass man sich auch hier herauspicken kann was einem entspricht. Ob es nun wahr ist (gerade bei medizinischen Angelegenheiten ... Wah! Und schon schaudert es mich wieder! Da melden sich absolute Laien zu Wort! Wer immer auch krank ist verdient es doch, dass sich ein Fachmann um seine Beschwerden kümmert!) oder nicht:
Ich mach mir die Welt wiediwiedi wie sie mir gefällt!
Und schmierst du mir nicht Honig ums Maul, dann k(l)icke ich dich raus aus meiner virtuellen Welt. Interessant wird es dann, wenn die beiden Welten aufeinander prallen:
- Dir jemand die Geldbörse nachträgt, welche du an der Kasse hast liegen lassen und du denkst "Die sieht ja aus wie die Person, die nicht meiner Meinung war".
- Du verunfallt auf der Strasse liegst, die Augen öffnest und der Mensch der erste Hilfe leistet so aussieht wie die eben erst wegen einer Lapalie "geblockte" Person.
- Du total verzweifelt bist, weil du im Einkaufszentrum dein Kind verloren hast. Der Mann, der es tröstend auf dem Arm hält und auf dich zueilt genau jener ist, den du hinter seinem Rücken beschimpfst. Weil er es gewagt hat unter eine Information, welche jeder lesen und kommentieren kann, seine Meinung zu schreiben die so ganz und gar nicht deiner entsprach.
Wir sollten uns nicht auf Posts, Kommentare und anderes berufen, wenn wir uns eine Meinung über jemanden bilden. Viel mehr sollte man ihn ohne Mobiltelefon, Computer oder Tablet kennenlernen. Man muss sich auch dann nicht mögen - bestimmt nicht! Immerhin hat man sich gegenseitig eine faire Chance gegeben.
Ja, echt. Ich bin genervt und das schon seit langem. Je nach eigener Laune kann ich über gelesenes schmunzeln, oder aber es bringt mich halt auf die Palme. Weil es mich wirklich bekümmert, wie F- und andere Benützer im neudeutsch genannten Real Life miteinander umgehen. Dann, wenn sie sich nicht verstecken hinter einem Profilbild. Sondern dann, wenn sie mir oder einem meiner Liebsten gegenüber stehen.
Übrigens wollte ich letztens meine Beobachtungen aus diesen Gruppen (es war eine offizielle Studie) an dieser Stelle veröffentlichen. Mir ist aber jemand zuvor gekommen und hat einen ganz herrlichen Text darüber verfasst. Gerne lese ich ihn auch nochmal. Dann grinse ich in mich hinein, staple ein paar Kapla aufeinander und kehre damit zurück zu meinem gut verträglichen Ruhepuls.
Lies doch mit! http://www.testmama.de/ueber-die-eigendynamik-von-fragen-an-eltern-auf-social-media-kanaelen/
Wie schön, dass ich hier ein Plätzlein um mich auszukötzeln habe. Und du hast hier ein Plätzlein, wo du meine Meinung lesen kannst und sie nicht teilen musst. Wundertoll, gell?
Herzlich,
Nessaja
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